„Bis zuletzt kämpfte Elisabeth Guttenberger aufrichtig und voller Hoffnung an unserer Seite. Ihre beherzte Stimme wird uns schmerzlich fehlen. Ihr Lebenswerk aber bleibt uns stets Auftrag und Orientierung zugleich.“
Petra Rosenberg, Vorsitzende
In den frühen Morgenstunden erreichte uns die traurige Nachricht, dass unsere langjährige Freundin, Gefährtin und Mitstreiterin Elisabeth Guttenberger im Alter von 98 Jahren verstorben ist. Erschüttert von ihrem Tod und in tiefer Trauer über den Verlust ihrer entschlossenen Stimme im gemeinsamen Kampf um Erinnerung, Anerkennung und Gleichberechtigung, gedenken wir Elisabeth Guttenbergers Leben, ihrem Werk und ihrem Wirken.
»1926 wurde ich in Stuttgart geboren. Ich hatte vier Geschwister, die auch dort zur Welt kamen. Meine Eltern waren schon längere Zeit in Stuttgart ansässig. Wir wohnten in einem sehr schönen Stadtteil mit vielen Gärten und Grünflächen. Mein Vater verdiente seinen Unterhalt mit Antiquitäten und Streichinstrumenten. Mit unseren Nachbarn lebten wir friedlich zusammen. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, so muss ich sagen, dass sie die schönste in meinem Leben war.«
Für Elisabeth Guttenberger und ihre Familie endet diese Zeit mit dem Erlass der „Nürnberger Rassengesetze“ durch die Nationalsozialisten im Jahr 1935: Elisabeth Guttenberger wird trotz hervorragender Noten von Schule und Ausbildung ausgeschlossen, zur Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik verpflichtet und schließlich verhaftet. Am 16. März 1943 wird die 17-Jährige zusammen mit ihren Geschwistern, Eltern und Großeltern in das KZ Auschwitz deportiert.
»Man kann Auschwitz mit nichts vergleichen. Wenn man sagt: ‚Die Hölle von Auschwitz‘ – dann ist das keine Übertreibung.«
‚Die Hölle von Auschwitz‘ überlebte Elisabeth Guttenberger als eine von wenigen. Mehr als 30 ihrer Verwandten wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet, darunter mehrere Brüder und ihre Schwester. Auch die Torturen von Zwangsarbeit und Krankheit im KZ Ravensbrück und einem Außenlager des KZs Flossenbürg überlebt Elisabeth Guttenberger. Als sogenannte Häftlingsschreiberin war sie gezwungen, über die männlichen Sinti und Roma im KZ Auschwitz-Birkenau Buch zu führen. Ihre Bücher gelten bis heute als eine der bedeutendsten Quelle zur Aufarbeitung des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma Europas. Noch bedeutsamer aber waren ihre persönlichen Zeugnisse, ihre eigene Stimme, die sie stets furchtlos erhob, um an die Ermordeten zu erinnern und für die Gleichberechtigung von Sinti und Roma im Nachkriegsdeutschland zu streiten – ob als Zeugin bei den Frankfurter Auschwitzprozessen oder als Gedenkrednerin im deutschen Bundestag: Elisabeth Guttenberger wollte von den Verbrechen nicht schweigen, die ihr und ihrer Familie angetan wurden.
Trotz der grauenhaften Erfahrung von Verfolgung und Verlust verlor Elisabeth Guttenberger eines nie: Ihre Menschlichkeit. Gestärkt von ihrem tiefen Glauben, war es ihr innerstes Anliegen, diesen Wert auch an jüngere Generationen, an Kinder und Jugendliche der Minderheit, zu vermitteln. Im Zentrum ihres Wirkens stand, jungen Sinti und Roma zu ermöglichen, was ihr durch den nationalsozialistischen Rassenwahn verwehrt geblieben war: Eine Chance auf gute Bildung. So gründete Elisabeth Guttenberger zusammen mit weiteren Engagierten 2002 den „Verein Bildung für Sinti und Roma in Ravensburg e.V.“, durch den bis heute jungen Angehörigen der Minderheit eine gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe an Bildung ermöglicht wird.
Möge ihre Erinnerung uns Segen und Mahnung sein.
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